Johann Sebastian Bach
Magnificat
Johann Christoph Friedrich Bach
Die Kindheit Jesu
Pauluskirche Ulm
Sonntag, 07. Dezember 2014, 18.00 Uhr

 

Vom Himmel bis auf Erden

Herzlicher Beifall: An seinem 85. Geburtstag führte Albrecht Haupt mit der Ulmer Kantorei zwei Bach-Werke auf: Das Magnificat und "Die Kindheit Jesu".

Südwestpresse vom 09.12.2014, von Jürgen Kanold

Wo beginnt die Weihnachtsgeschichte? Natürlich im Himmel. Auch in Johann Christoph Friedrich Bachs Oratorium "Die Kindheit Jesu", entstanden in den 1770er Jahren in Bückeburg (niedersächsische Grafschaft Schaumburg-Lippe) auf Verse Johann Gottfried Herders, verkündigt ein Engel große Freude. Und er tat es in der Ulmer Pauluskirche jetzt wirklich himmlisch: ganz oben, von der Altarempore aus, und in Gestalt von Katarzyna Jagiello mit schöner Sopranstimme. "Himmlische Musik", von Streichern eines jungen "Paulusquartetts" auf der gegenüberliegenden Orgelempore gespielt, rückte das Geschehen näher, dann jubelten vor dem Altar die Hirten. Und endlich sang der Chor kraftvoll "Ehre sei Gott in der Höhe, Friede darnieden und den Menschen Heil!"

So brachte Albrecht Haupt mit der Ulmer Kantorei, dem souveränen Concerto Tübingen, dem Süddeutschen Bläserensemble und (trotz angesagter Erkältungen) hervorragenden Gesangssolisten die Weihnachtsgeschichte des Bach-Sohnes Johann Christoph Friedrich (1732-1795) auch den Zuhörern in der gut besuchten Pauluskirche im wahrsten Sinne nahe. Eine klangvolle Raum-Inszenierung des Dirigenten, der am Sonntag auch seinen 85. Geburtstag feierte und einmal mehr eine musikalische Entdeckung bot: "Die Kindheit Jesu" ist ein liebliches, sanft frühklassisches, anrührendes, manchmal etwas ausschweifendes Werk, das am Ende schon die Opfer-Rolle Jesu thematisiert und dem Gesang der Maria große Bedeutung einräumt.

So war es trefflich kombiniert, das großartige Magnificat von Vater Johann Sebastian Bach aufs Programm des Adventskonzerts zu setzen. Der Lobgesang der Maria als ein leidenschaftliches Barock-Drama: so innig seelenmalerisch wie feierlich (glanzvoll die Trompeten). Albrecht Haupt dirigierte mit Bedacht auf Nuancen und mit der großen Geste fürs mächtige Gebet: "Gloria Patrii et Filio . . ." Erstaunlich, welchen Elan der 85-Jährige am Pult zeigt, wie er seinen Chor mitreißen kann. Die Solisten vorzüglich: neben Katarzyna Jagiello noch Frauke Willimczik (mit flutendem Mezzo), Alexander Yudenkow (mit lyrisch-kernigem Tenor), Santiago Garzón (ein junger Bass, der aufhorchen lässt) und Larissa Hülls (Sopran). Großer Beifall.

 

Himmlisches zum 85. Geburtstag

Ulmer Kantorei - Albrecht Haupt feiert seinen Ehrentag mit einem Bach-Doppelpack in der Pauluskirche

Neu-Ulmer Zeitung vom 09.12.2014, von Dagmar Hub

Ulm - Es ist eine ausgesprochen untypische Art, einen 85. Geburtstag zu feiern. Für den Ulmer Kirchen- und Universitätsmusikdirektor Albrecht Haupt aber war gerade diese Feier typisch: Er beschenkte sich selbst und sein Publikum am zweiten Adventssonntag mit der Aufführung der selten gehörten „Die Kindheit Jesu" von Johann Christoph Friedrich Bach - im Vergleich mit dem Marien-Lobpreis „Magnificat" von dessen Vater Johann Sebastian.

Johann Christoph Friedrich galt in der Famil ie als der wohl begabteste Sohn; in der Wahrnehmung späterer Jahrhunderte wurde er lang als der unauffälligste der vier komponierenden Bachsöhne gesehen. Seine "Kindheit Jesu" entstand aus der engen Freundsschaft und Zusammenarbeit mit dem Dichter Johann Gottfried Herder. Haupt liegt seit Jahrzehnten gerade die Aufführung unentdeckter Werke am Herzen.

Dabei hatte er in der nahezu ausverkauften Pauluskirche mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen: Die meisten der Solisten waren schwer erkältet, Bass Santiago Garzón rang unter Kortisonmedikation um stimmliche Klarheit. Nicht so heftig hatte es Katarzyna Jagiello (Sopran) und Frauke Willimczik (Alt) erwischt, die ihre groß angelegten Partien in den beiden aufgeführten Werken mit begeisternder Klarheit sangen. Auch Tenor Alexander Yudenkow hielt gut durch. Weniger krankheitsgeschüttelt präsentierte sich die mit über hundert Sängern besetzte Ulmer Kantorei, die Albrecht Haupt seit 1959 leitet, das Concerto Tübingen und das Süddeutsche Bläserensemble.

Quartett und Solisten auf der Rückempore

Die Aufführung des am Übergang zwischen Barock und Frühklassik entstandenen, eher lieblichen kleinen Weihnachtsoratoriums „Die Kindheit Jesu" nutzte den ganzen Raum der Pauluskirche: Das Paulusquartett, vier junge Musiker der Humboldt-Sinfonietta, spielten die „himmlische Musik" auf der Rückempore über dem Altar, wo auch Katarzyna Jagiello zu Beginn als Engel zu hören war. In der Rolle der Maria glänzte Frauke Willimczik. An der Orgel war Haupt-Tochter Angelika Hirsch zu erleben.

Die Ulmer Kantorei spielte ihre dynamischen Fähigkeiten vor allem im 30-minütigen „Magnificat" Johann Sebastian Bachs aus, das leidenschaftliche, nahezu schmetternde Teile mit zarten, lyrischen Chorpartien kombiniert, das die Solisten (darunter die Thalfingerin Larissa Hüls) einzeln oder auch im Trio fordert.

Viel Beifall feierte Haupt und seine Aufführung - und im Foyerbereich der Kirche gab es anschließend mit Chor, Musikern, Solisten und einigen geladenen Gästen die Geburtstagsfeier um den strahlenden Dirigenten, der längst eine Institution im Musikleben Ulms ist.

 

Theo Düllmann - Informationen zu "Omnes generationes"

Einführung zum Programm
„Die Kindheit Jesu“ Johann Christoph Friedrich Bach (1732-1795)


Unser Adventskonzert beginnt mit dem kleinen Weihnachtsoratorium des zweitjüngsten Bach Sohnes, dem Bückeburger Hofkapellmeister. In enger Zusammenarbeit mit dem Dichter und Theologen Johann Gottfried Herder, der von 1771-1776 neben Bach am Bückeburger Hof wirkte, entstand das liebenswerte Werk im frühklassischen Stil. Johann Christoph gehörte zu den Wegbereitern der Wiener Klassik. Trotz der stilistischen Entfernung vom Vater kann man das gediegene musikalische Handwerk bewundern, das dieser seinen vier komponierenden Söhnen mitgegeben hat. Es ist die Grundlage für deren wichtige Vermittlerrolle zwischen Barock und Klassik. Der Text Herders verbindet in freier dichterischer Form biblische Texte über die Weihnachtsgeschichte mit dem Magnificat und dem Lobgesang des alten Simeon, der beim Anblick des Jesusknaben seine Freude mit dem Lutherlied „Mit Fried und Freud fahr ich dahin“ besingt.

„Magnificat“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750)

„Dieses Lied der Maria ist das älteste Adventslied. Es ist zugleich das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen worden ist. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern dargestellt sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht“. So beginnt die Beschreibung des biblischen Lobgesangs der Maria (Lukas Evangelium 1,46) durch Dietrich Bonhoeffer. Wenn wir nun Bachs Vertonung hören, klingt dieses Textverständnis des bedeutenden Theologen auch schon an. Mächtig rahmen die Tuttisätze mit Trompeten und Pauke das Werk ein. Im ‚Deposuit‘ sieht man geradezu, wie die Mächtigen vom Stuhl gestoßen werden. Innige Töne gibt es dagegen bei der Niedrigkeit oder der Barmherzigkeit und die Tonmalerei im Chor „Omnes generationes“ drängt sich dem Hörer unmittelbar auf. Das Magnificat entstand um 1732, die Erstfassung schon 1723 in Bachs früher Leipziger Zeit und ist neben der freier textierten Kantate 10, seine einzige Vertonung dieses großartigen Bibeltextes, zugleich auch eines seiner bedeutendsten, konzentriertesten und auf der Höhe der Meisterschaft stehenden Werke.

Albrecht Haupt