Johann Sebastian Bach
Johannes Passion
Pauluskirche Ulm
Sonntag, 29. März 2015, 18.00 Uhr

 

Bachs Johannespassion mit der Ulmer Kantorei

In der Pauluskirche führte Albrecht Haupt mit der Ulmer Kantorei und dem Concerto Tübingen die Johannespassion auf. Der 85-Jährige dirigierte ein mächtiges Drama und starkes Glaubensbekenntnis.

Südwestpresse vom 31.03.2015, von Jürgen Kanold

Das sind schon historische musikalische Dimensionen: Als Albrecht Haupt, der Leiter der Ulmer Kantorei, im Jahre 1929 auf die Welt kam, war noch Karl Straube in Leipzig Thomaskantor, und dessen Nachfolger Günter Ramin (1939 bis 1956 im Amt) prägte dann den jungen Kirchenmusikstudenten. Man hört das mit, wenn der mittlerweile 85-jährige, ungebrochen agile Haupt mit großer umarmender Geste den Eingangschor der Johannespassion dirigiert: "Herr, unser Herrscher".

Was hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht alles getan in der Bach-Pflege: historische Aufführungspraxis, historisch informiertes Musizieren, akribisch sind die Verhältnisse und Möglichkeiten rekonstruiert worden, die Thomaskantor Johann Sebastian Bach im 18. Jahrhundert in Leipzig vorgefunden hatte und nutzte. Für einen gemischten Chor mit rund 100 Sängerinnen und Sängern hatte er jedenfalls seine Johannespassion nicht komponiert. Über die musikalische Wahrheit und die Botschaften, die den Hörer erreichen, sagt das freilich noch nichts aus.

Auch ein solches Klangbild, ob nun romantisch oder kraftvoll dramatisch, steht für eine traditionsreiche Bach-Zeit - und wirkt. Das Volk spielt in dieser packenden Erzählung von Jesu Leiden und Sterben ja eine große Rolle, die "Turbae"-Chöre wühlen auf, Sätze wie "Weg, weg mit dem, kreuzige ihn!" peitschen durch die Kirche. Das hat, im Großaufgebot, auch eine explizite Wucht. Und die Choräle, Ausdruck einer Auseinandersetzung mit dem Glauben, sammeln die bewegten Christen schließlich ohne Einschränkung ein.

Die Aufführung der Johannespassion jetzt am Sonntag in der Pauluskirche mit der in Jahrzehnten gewachsenen, höchst engagierten Ulmer Kantorei unter Albrecht Haupt zeigte jedenfalls auch ein authentisches Musizieren an: eine christlich-bürgerliche Chorkultur, wie sie nicht mehr oft zu finden ist.

Albrecht Haupt kennt natürlich jede Nuance dieser Passion, weiß sein Ensemble zu steuern, weiß um jedes zu betonende Wort. Das Concerto Tübingen und das Süddeutsche Bläserensemble waren der solide, verlässliche Partner der Ulmer Kantorei mit trefflichen Instrumentalsolisten für die Arien-Begleitung. Peter Diebschlag war ein kerniger, einprägsamer Evangelist, Michael Roman sang erhaben die Jesus-Worte, der eingesprungene Daniel Raschinsky von der Innsbrucker Oper sehr sonor die Bass-Arien; Catherina Witting (Sopran) und Mirjam Künstner (Alt) gehörten ebenso zu einem feinen Ensemble, nur Rüdiger Husemeyer zeigte große Mühen in der Tenor-Partie.

Am Ende verdienter Beifall - kein betroffenes Schweigen. Natürlich nicht nach diesem Schlusschoral, nach dieser Glaubenszuversicht im Fortissimo, unterstützt von glitzerndem Orgeltönen: "Herr Jesu Christ, erhöre mich, ich will dich preisen ewiglich."

 

 

Packende Passion

Kantorei, Concerto Tübingen und das Süddeutsche Bläserensemble geben das Leiden Christi in einem bewegenden Konzert in der Pauluskirche wieder

Neu-Ulmer Zeitung vom 31.03.2015, von Dagmar Hub

Der Palmsonntag gilt Christen als der Tag des Einzugs Christi in Jerusalem: Insofern kam die Aufführung der Johannes-Passion Johann Sebastian Bachs in der Pauluskirche etwas verfrüht, aber damit nicht in Konkurrenz zum Passionskonzert des Motettenchors in der Martin-Luther-Kirche am kommenden Karfreitag. In der ausverkauften Pauluskirche gestaltete Kirchenmusikdirektor Albrecht Haupt mit seiner Kantorei, dem Concerto Tübingen, dem Süddeutschen Bläserensemble und sechs Solisten ein hochkarätiges Passionskonzert. Bewährt an der Orgel: Haupt-Tochter Angelika Hirsch.

Die Johannes-Passion Johann Sebastian Bachs ist die weniger pathetische, dafür bildhaftere der beiden vollständig erhaltenen und im Konzertleben fest verankerten Passionen Bachs. Sie entstand 1724, und im Text ist nicht nur Bachs tiefer Glaube, sondern es sind auch die antijüdischen Gedanken seiner Zeit zu finden – in den Forderungen des Volkes beispielsweise nach Freigabe des Barrabas anstelle des angebotenen Jesus.

In wirklicher Andacht und voll Gefühl interpretierten die Sänger der Ulmer Kantorei das große Werk; saubere Einsätze und die Fähigkeit zur dynamischen Gestaltung sind bewährte Eigenschaften des Chores, dem auch die Chorarien im Wechsel mit Partien der Solisten gelangen. Große Freude bereiteten die wunderbaren Stimmen von Michael Roman in der Jesus-Partie und von Peter Diebschlag als Evangelist, der auch dem unmittelbaren Wechsel zwischen Arien- und Rezitativgesang im Beginn des zweiten Teils des Oratoriums problemlos gewachsen war.

Dass Daniel Raschinsky, Bass an der Innsbrucker Oper, kurzfristig für den an einer Stimmbandentzündung leidenden Marcell Bakonyi für Bass-Arien und die Rollen von Petrus und Pilatus einsprang, war ihm in keinem Moment anzumerken. Überzeugend und gerade in der letzten Arie „Zerfließe, mein Herze“: Sopran Catherina Wittig. Zarter und weicher, dafür anfangs mit Schwierigkeiten, sich gegen die Oboen durchzusetzen, gestaltete Altistin Mirjam Künstner ihre Partie. Bedauerlicherweise indisponiert wirkte Tenor Rüdiger Husemeyer als Diener und in der Arie „Ach, mein Sinn“.

Was am Karfreitag nicht möglich ist, durfte am Palmsonntag sein: lang anhaltender Beifall für Haupt, seine Sänger und Musiker.

 

 

 

Einführung zum Werk von Albrecht Haupt

Von den fünf Passionen, die Bach laut dem Nekrolog von 1754 komponiert hat, sind nur die nach Matthäus und Johannes vollständig erhalten und fest im heutigen Konzertleben verankert. Der Text der Markus-Passion und einige schöne Chorsätze sind ebenfalls bekannt.

Mit Arienergänzungen und nachkomponierten Rezitativen wird dieses Werk auch heute wieder aufgeführt. Die vollständig vorliegende, durchaus reizvolle Lukas-Passion lässt sich nicht eindeutig Bach zuordnen und könnte ein einfacheres Frühwerk sein.

Zu den Spitzenwerken der gesamten oratorischen Literatur gehören die Johannes-Passion von 1724 und die Matthäus-Passion von 1729. Sie fordern mit ihrem sehr unterschiedlichen Charakter immer wieder zu Vergleichen heraus. Die achtstimmige, nach Matthäus komponierte, fordert, besonders beim Anhören der Arien, zum Mitfühlen und Mitleiden heraus.

Aber die in Anlage und Ausdruckskraft benso gewaltige Johannes-Passion ist dramatischer und stellt den Verlauf des Geschehens in seiner schonungslosen Realität zusammengefasster dar.

Die im Johannesevangelium ausführliche Befragung Jesu durch Pilatus war auch für Bach ein wichtiger kompositorischer Ansatz. Die Choräle als jeweils eine Szene zusammenfassende Akzente gehören zu den Höhepunkten des Werks. Einen gewaltigen Bogen spannt Bach in der Johannes-Passion vom großartigen Eingangschor „Herr, unser Herrscher“ zum abschließenden Choral „Ach, Herr, lass dein lieb Engelein“ mit dem schon Ostern anklingt und der wohl jeden Musiker und Hörer immer wieder zutiefst bewegt.