Felix Mendelssohn
Oratorium Paulus
Pauluskirche Ulm
Sonntag, 17. November 2013, 18.00 Uhr

 


Die Solistin Katarzyna Jagiello vor dem großen Aufgebot für Mendelssohns Oratorium "Paulus" in der Pauluskirche: Albrecht Haupt (rechts) dirigierte die Ulmer Kantorei und das Concerto Tübingen. Foto: Martina Dach

 

Ulmer Kantorei und das Concerto Tübingen mit Mendelssohn-Oratorium

Eine beeindruckende Leistung boten die Ulmer Kantorei, das Concerto Tübingen und ein grandioses Solistentrio mit Mendelssohn Bartholdys zweieinhalbstündigem Oratorium "Paulus" in der Pauluskirche.

Südwestpresse vom 19.11.2013, von Susanne Rudolph

So beliebt Mendelssohns "Paulus" zu seiner Zeit war, so stiefmütterlich wurde er in den folgenden Jahrzehnten behandelt. Der junge Mendelssohn, hieß es, habe in seinem ersten Oratorium (1834/36) die alten Meister kopiert, seine orchestrale Musik sei aus vielerlei Stilen zusammengesetzt, der zweite Teil langweilig und überhaupt: Mit dem späteren, schwergewichtigen "Elias" sei es nicht zu vergleichen.

Dem Publikum können solche musiktheoretischen, manchmal auch von Konkurrenzneid (Louis Spohr, Carl Loewe) geprägten Mäkeleien herzlich egal sein. Und als wolle er den "Paulus" davon befreien, warfen Albrecht Haupt, seine bewährte Ulmer Kantorei und das hinreißende Sänger-Trio in der sehr gut besuchten Pauluskirche all ihre Leidenschaft, Hingabe und ihr Können in die Waagschale.

Natürlich fühlt man sich bei manch theatralischem Gestus an Händel oder bei den Chorälen an Bach erinnert, und im zweiten Teil erlischt die Glut der Dramatik ein wenig. Aber Mendelssohns romantisches Klangbild, sein liedhaftes Melos und seine erzählerische Kraft sprechen eine eigene, überzeugende Sprache.

Besonders fasziniert der Chor, der hier in dreifacher Funktion agiert: handelnd, berichtend und reflektierend. Eine Aufgabe, die die Ulmer Kantorei trotz notorischen (jungen) Männermangels mit beachtenswerter Bravour bewältigte.

Haupt nahm den Text, der das Martyrium des heiligen Stephanus und die Bekehrung des Saulus zum Paulus schildert, ganz wörtlich. Vital und sensibel dirigierend schöpfte der über 80-jährige Kirchenmusikdirektor - gibt es ein effektiveres Antiaging als der Taktstock? - die vielen unterschiedlichen Facetten der Stimmung aus, ließ seinen Chor einerseits den geifernden Hass des Volkes mit plastischer Wucht und Schärfe, andrerseits den kontemplativen Charakter der Choräle mit gewohnt berührender Inständigkeit demonstrieren. Dass die Ulmer Kantorei auch den heiklen Doppelfugen, den dissonanten Harmonien und ständig wechselnden agogischen und dynamischen Verläufen scheinbar mühelos gewachsen war, machte Staunen.

Ausdrucksvoll und inspiriert die feine Tonmalerei nachzeichnend, musizierte auch Haupts Stamm-Orchester "Concerto Tübingen", getragen von der Präzision und dem Glanz des hervorragenden Süddeutschen Bläserensembles.

Eine sehr glückliche Hand hatte Haupt diesmal mit den Vokalsolisten. Katarzyna Jagiello deutete als höchst geforderter "Erzähler" mit ihrem sonnenklaren, schönen Sopran jedes Detail betörend einfühlsam aus, träufelte Farben und bisweilen auch eine Träne ("sie weinten") in ihre Stimme, man konnte gar nicht genug bekommen von ihrem Gesang. Da hatte es Mezzosopranistin Sabine Wick in den kleinen Parts schwer, mitzuhalten, überzeugte aber mit ehrlicher Anteilnahme. Grandios und emotionstief der Bass Daniel Blumenschein als hin und her gerissener Paulus, besonders ergreifend in seiner um Vergebung flehenden Arie "Gott sei mir gnädig". Und Tenor Alexander Yudenkow fesselte in verschiedenen Rollen mit spannungsfähiger Stimme, dramatischer Rigorosität und eindringlicher Gestaltungskraft.

Eine rundum gelungene Aufführung in der Pauluskirche. Dementsprechend langer, langer Beifall.

 


Hingabe an die Musik: Albrecht Haupt (rechts, von hinten) dirigierte seine Ulmer Kantorei und das Concerto Tübingen.

 

Wie Saulus zum Paulus wurde

Albrecht Haupt dirigiert Felix Mendelssohn-Bartholdys erstes Oratorium – ein Klangerlebnis

Augsburger Allgemeine vom 20.11.2013, von Roland Mayer

Musik ist seine Bestimmung: Albrecht Haupt bringt mit seiner Ulmer Kantorei seit 1959 die großen Kirchenmusikwerke von Bach bis Bruckner zum Klingen. Nun dirigierte der 83-Jährige in der zwar nicht ausverkauften, aber gut besetzten Pauluskirche das „Paulus“-Oratorium. Und so manch einer der Besucher brachte die Partitur mit, um die biblische Geschichte des Saulus, der zum Prediger Paulus wird, in Felix Mendelssohn-Bartholdys romantischer Oratorienkunst hautnah mitzuerleben.

„Wachet auf, ruft uns die Stimme“: Mit hymnischer Getragenheit breitet die Ulmer Kantorei diesen Erweckungschoral zur Ouvertüre des zweiteiligen Oratoriums aus, in dem Haupt – der nach seiner prägenden Zeit bis 1996 im Kantorat der Martin-Luther-Kirche als ehrenamtlicher Universitätsmusikdirektor vorbildlich die Generationen verbindet – seinen Musikern nur eine kleine Verschnaufpause gönnt.

Dramatische Stationen der Christenverfolgung

In der akustisch reizvollen Hallenkirche entwickelt der Bundesverdienstkreuzträger die Präsenz, die das Mendelssohn-Oratorium mit seinen dramatischen Stationen der Christenverfolgung und apostolischen Bekehrungsschüben fürs still lauschende Publikum zum kontemplativen Klangerlebnis macht.

Die Rezitative der biblischen Erzählung formen sich im aufgefächerten Stimmspektrum von Sopran (Katarzyna Jagiello mit sensibler Charakterstärke), Mezzosopran (Sabine Wick nicht immer auf Augenhöhe) und der Strahlkraft von Tenor Alexander Judenkov zu kontrastreich vibrierenden Informationskeilen. Die Arien und Duette der singenden Personen konturieren Judenkov (Stephanus, Ananias, Barnabas) sowie Bassist Daniel Blumenschein als Paulus mit bravourösem Gestaltungsvermögen.

Im ersten Oratorium Mendelssohns von 1836 (dem zehn Jahre später „Elias“ folgte), sind neben der Ulmer Kantorei über die Bachchoralfülle des Kirchengesangbuchs hinaus die mit dem Süddeutschen Bläserensemble erweiterten Instrumentalisten des Concerto Tübingen im flüssigen Zusammenwirken engagierte Garanten fürs Gelingen. In Sauls Jesus-Erlebnis etwa kristallisiert der unerschöpfliche Elan des Dirigenten zu sphärischem Schimmer: Blechfanfaren geleiten zu den Lichttönen des „Wachet auf“-Chorals – ein epochaler Höhepunkt dieser Oratoriums-Aufführung mit dem seelenvollen Kolorit eines großen Opus aus dem prallen Füllhorn des 19. Jahrhunderts. Ein Musikerlebnis, das die Besucher zu langem Applaus beflügelte.

 

 

Felix Mendelssohn (1809 – 1847) schrieb das abendfüllende Oratorium „Paulus“ im Alter von 25 Jahren! Es wurde 1836 mit großer Besetzung in Düsseldorf uraufgeführt und ist seit dieser Zeit ein Standardwerk der romantischen Oratorienkunst, das die große Tradition von Händel und Haydn fortsetzt und ihr neue Dimensionen im Sinne frühromantischer Expressivität erschließt. Es ist zugleich auch ein Dokument der sympathischen Persönlichkeit Mendelssohns in seiner Auseinandersetzung mit dem Christen- und Judentum, dem er entstammt. Robert Schumann nennt es „ein Werk der reinsten Art, eines des Friedens und der Liebe“.

Der erste Teil wird, beginnend mit dem hymnischen Bläserchoral „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, mit einer Orchesterouvertüre und einem klangmächtigen Chor eingeleitet und schildert die Predigt und die Steinigung des ersten christlichen Märtyrers Stephanus und die Bekehrung des Paulus durch die Vision vor Damaskus. Ebenfalls mit einer Fülle schöner Arienmelodien, klangvollen und zum Teil auch hochdramatischen Chören sowie reich instrumentierten Orchestersätzen wird im zweiten Teil das Wirken des Apostels und seiner Glaubensbrüder erzählt. Auch die spätere Verfolgung des Paulus klingt an.

Die Textzusammenstellung entstammt einer mehrjährigen engen Zusammenarbeit Mendelssohns mit seinem Freund Julius Schubring und ist großenteils der „Apostelgeschichte“ entnommen. Als singende Personen erscheinen Paulus als Bass sowie Stephanus, Ananias und Barnabas als Tenor. Die biblische Erzählung ist auf Sopran-, Mezzosopran- und Tenorstimme verteilt. Der Chor hat dramatische und betrachtende Funktion, er ist Sprachrohr für die christliche Gemeinde und für den Geist des Christentums allgemein.

Albrecht Haupt