Carl Philipp Emanuel Bach
Heilig - Doppelchor
Die Israeliten in der Wüste - Oratorium
Pauluskirche Ulm
Sonntag, 17. März 2013, 18.00 Uhr

 

 

Mit der Musik das Herz rühren

Albrecht Haupt präsentierte mit der Ulmer Kantorei "Die Israeliten in der Wüste" von Carl Philipp Emanuel Bach. Eine beachtliche Aufführung.

Südwestpresse vom 19.03.2013, von Susanne Rudolph

"Mich deucht, Musik müsse vornehmlich das Herz rühren." So zitiert Albrecht Haupt im Programmheft das musikalische Credo des zweitältesten Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel, dessen 1768/69 komponiertes Oratorium "Die Israeliten in der Wüste" und dessen hymnischen Doppelchor "Heilig" er mit der Ulmer Kantorei erstmals in Ulm aufführte.

In der Tat: Es gab an diesem Abend in der nicht ausverkauften Pauluskirche manche herzberührenden Momente: Etwa wenn zu Beginn der fast verdurstende "Chor der Israeliten" zu den abfallenden Seufzerschritten des Orchesters sein Leiden mit suggestiv stockender Ausdruckskraft beklagt oder er gegen Ende in dem wunderbar ruhevoll gesungenen Choral - Vater Johann Sebastian lässt grüßen! - die Herrlichkeit Gottes beschwört.

Oder wenn die Zweite Israelitin (Stefanie Kunschke) mit schönem, etwas zu vibratoreichem Mezzosopran gegen die extremen Entbehrungen während der Flucht aufbegehrt, wenn Aron (Matthias Löffler) mit warm timbriertem Tenor und packender Inständigkeit seine Gruppe zu beschwichtigen versucht, wenn Moses (Marcell Bakonyi) mit kellerdunklem, volltönendem Bass seine Zerrissenheit zwischen Empörung, Mitleid und Gotteszweifel spannungsvoll gestaltet. Oder wenn die Erste Israelitin (Catherina Witting) mit silberhellem Sopran innig-zart für die Erlösung dankt.

Gedankt sei auch Albrecht Haupt, dass er den Ulmern dieses selten aufgeführte, kontrastreich zwischen empfindsamen und dramatischen Passagen pendelnde "Geistliche Singgedicht", wie es Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) nannte, zugänglich machte. Und doch hinterließ die Aufführung zwiespältige Gefühle, aus zweierlei Gründen. Denn anders als zu seiner Entstehungszeit, in der Johann Sebastian Bachs Werk nur noch Kennern vertraut war, hören wir heute die "Israeliten" mit Ohren, in denen die Passionen des alten Bach unwillkürlich mitklingen. Was heißt: So musikalisch bildhaft und emotional bewegt Carl Philipp Emanuel den mühsamen Weg aus der Sklaverei in die Freiheit auch schildert, so deutlich wird sein Abstand zur unvergleichlichen Kunst und bezwingenden Überzeugungskraft des Vaters.

Zum Zweiten mag es auch am Spiel des Concerto Tübingen gelegen haben, das die tonmalerischen Effekte zu wenig nutzte und fern aller historisch informierten Aufführungserkenntnisse bisweilen etwas uninspiriert dahinplätscherte. Dabei war Carl Philipp Emanuel Bach einer der ersten, der sich detailliert über die Bedeutung der Interpretation geäußert hatte ... Hervorragend agierten das Süddeutsche Bläserensemble und Organist Conrad Schütze als einfühlsamer Continuo-Begleiter. Ausgiebiger Beifall. Man sollte und wollte das Werk nochmals hören.

 

 

Carl Philipp Emanuel Bach (1714 – 1788)

Carl Philipp Emanuel Bach ist der zweite Sohn des Thomaskantors und war als Komponist und Klavierspieler so hoch angesehen, dass man nicht mehr seinen fast vergessenen Vater, sondern ihn meinte, wenn vom berühmten Bach gesprochen wurde. Auch Haydn und Mozart verehrten ihn hoch.

Nach der Schulzeit im Leipziger Thomanerchor studierte er zunächst Jura in Leipzig und Frankfurt/Oder, betätigte sich aber in dieser Studienzeit schon als Komponist und Dirigent. In seiner Autobiographie schreibt er: „In der Komposition und im Klavierspielen habe ich nie einen anderen Lehrmeister gehabt als meinen Vater“. Einen besseren hätte er wohl auch nicht haben können! Überraschend ist aber, wie deutlich sich sein und seiner ebenfalls hochbegabten Brüder Kompositionsstil vom Vater unterscheidet.

Sicher nur auf der Grundlage des von Kindesbeinen an Erlernten konnten sie den frühklassischen Stil mitbegründen, der sich dann zur „Wiener Klassik“ weiterentwickelte.

Ab 1740 stand Emanuel als Kammercembalist im Dienst des Preußenkönigs Friedrich II. in Berlin. Hier entstanden schon viele seiner Klavierwerke im „empfindsamen Stil“, die den Hauptanteil seines kompositorischen Oeuvres ausmachen.

Mehrere vorteilhafte Rufe an andere Höfe erreichten ihn, aber „Sn. Majestät waren so gnädig, alle diese durch eine ansehnliche Zulage zu vereiteln“.

1767 trat er die Stelle des städtischen Musikdirektors in Hamburg als Nachfolger seines Patenonkels G. Ph. Telemann an, ein musikalisch und organisatorisch umfangreiches Amt. Jetzt entstanden auch große kirchenmusikalische Werke wie das bekannte „Magnificat“, „Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ (steht auf dem Programm der diesjährigen Ludwigsburger Festspiele) und unser heutiges Werk, das vom Zug der Israeliten durch die Wüste, von ihren verzweifelten Vorwürfen an den Anführer Moses und von der Errettung aus der Not handelt.

Sympathisch wirken in Emanuels Autobiographie die Hinweise auf andere bedeutende Musiker, die ihm Anregungen vermitteln konnten: „da ich jederzeit der Meinung gewesen bin, man möge das Gute, es stecke, wo es wolle, annehmen“.

Das doppelchörige „Heilig“ hielt er für sein bestes Kirchenmusikstück. Es wurde in der großen Hamburger Michaeliskirche aufgeführt: Chor I, Chor der Engel, wurde „von der Höhe über dem Kirchensaal und der Chor II, Chor der Völker, von der Orgel, die Fuge aber von den beiden Chören zugleich gesungen“. Wie viele Proben waren wohl für dieses schwierige Unterfangen nötig? Die damals vorhandene umfangreiche Orchesterbesetzung (u.a. sechs Trompeten) können wir heute nicht realisieren, an einigen Stellen müssen die zwei Orchester zusammengezogen werden.

Zum Schluss sei das musikalische Credo des großen Bachsohnes zitiert: „Mich deucht, Musik müsse vornehmlich das Herz rühren“

Albrecht Haupt